Niemals Selten Manchmal Immer

Kinoplakat Niemals Selten Manchmal Immer

Das beispielhafte Drama über das Gefühl fremdbestimmt zu sein erzählt von einer Siebzehnjährigen, die ungewollt schwanger ist und nun versucht die Schwangerschaft zu beenden. Ein weiteres Thema sind Grenzen überschreitende Männer. Das verspricht forderndes Programmkino.

Autumn geht es nicht gut. Schon zu lange, meint der Vater und ignoriert sie. Ihre Mutter versucht zu vermitteln, doch Autumn ist stinksauer. "Friss Scheiße", raunt sie ihrem Vater (im englischen Original) zu. Der lässt Autumn machen und schmust ausgiebig mit dem Hund der Familie. Autumn wiederum sucht bei einer Ärztin Hilfe und erfährt den Grund für ihre Verstimmung: Sie ist in der zehnten Woche schwanger. Da sie nicht bereit ist mit siebzehn Mutter zu werden, sucht sie nach einer Lösung. Eine besteht darin in New York abzutreiben. Und dorthin bricht Autumn gemeinsam mit ihrer Cousine Skylar auf.

Kritik

Der Zuschauer begleitet, nach einer kurzen Einführung, zwei junge Frauen auf ihrer Reise nach New York und erlebt den Schwangerschaftsabbruch mit. Ein Plädoyer für Abtreibung ist der Film nicht. Er spart allerdings auch eine Diskussion aus. Abtreibungsgegner stehen in New York vor der entsprechenden Institution, womit der Punkt abgehakt ist. Da der Film nur einen Standpunkt vertritt, möchte der Kritiker nicht weiter auf die Debatte eingehen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Der Kritiker ist der Meinung, dass jede Frau selbst entscheiden darf, wie sie mit ihrem Körper verfährt. Dazu zählt auch das Recht auf Abtreibung.

Zurück zur zielstrebigen Autumn. Der Kritiker kann die Problematik einer ungewollten Schwangerschaft nicht nachvollziehen und der Film bringt ihm die Seelenqualen dieser Frau nicht näher. Für diese Einschätzung hat er von einer Kollegin verbale Prügel bezogen. Die meinte sinngemäß: "Wenn ein Mann heterosexuellen Geschlechtsverkehr hat, und sich von dem Film nicht berührt fühlt, dann sei das verantwortungslos." Das ist nicht ganz falsch und nicht richtig, denn der Kritiker ist nicht mit Frauen intim. Und er ist der Meinung, dass ein Mensch nie weiß, wie ein anderer Mensch sich gerade fühlt. Es ist nur möglich nachzufühlen, was man / frau selbst erlebt hat. Als Mann fehlt ihm jedoch die Erfahrung schwanger zu sein und er kann es nicht nachfühlen. Leider transportiert der Film für ihn auch nicht, was in der Protagonistin vorgeht. Nur während der Befragung durch die zuständige Sachbearbeiterin in der Abtreibungsklinik taut Autumn ein wenig auf. Sie deutet während des Interviews einiges an; aber es bleibt bei Andeutungen. Den Rest der Zeit verrät der bockige Gesichtsausdruck ihre Emotionen nicht. Es liegt am Zuschauer aus der Körpersprache etwas herauszulesen beziehungsweise etwas hineinzuinterpretieren. Für beides sieht der Kritiker keinen Anlass, weil ihn die Handlung nicht anspricht. Und er geht er davon aus, dass Frauen den Film anders empfinden und einstufen als Männer.

Von der besonderen Ausgangslage abgesehen und als Drama eingeschätzt ist der Film handwerklich nicht überzeugend. Der enge Fokus der Handlung liegt zu sehr auf der Problematik. Die wackelige Handkamera ist die meiste Zeit nahe an den Personen dran und gleichzeitig bleiben die fremd. Das liegt daran, dass der Film das ausspart, was die Dramaturgie "private Momente" nennt. Also Szenen, in denen eine Figur ihr Seelenleben offenlegt. Autumn macht das genaue Gegenteil. Sie ist zugeknöpft und mies gelaunt. Anscheinend gibt es nichts auf der Welt, was sie aufheitern kann. Erst nach der Abtreibung schaut sie erleichtert und damit endet der Film. Das ist dramaturgisch wohl so gewollt und leider eine schlechte Idee, weil es schwerfällt für Autumn Sympathien zu empfinden. Leider fehlt auch die Einordnung ins soziale Umfeld. Die als dysfunktional angedeutete Familie ist nicht Teil der Handlung. Auch nicht, wer der Vater ist und ob die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist. Warum die Cousinen so aufeinander eingeschworen sind, bleibt ebenfalls unerklärt.

Auffällig sind die seltsamen Männer respektive die Darstellung von männlichem Verhalten. Autums Vater nennt die Hündin Schlampe. Der Chef im Supermarkt belästigt die jungen Frauen körperlich. Der abstoßende Kunde im Supermarkt baggert die junge Kassiererin an. Ein Mann in der nächtlichen U-Bahn ist ein Exhibitionist. Der junge Mann im Bus hat Interesse an Skylar und zeigt das aufdringlich. Gleichzeitig ist er bereit den Frauen Geld zu leihen, obwohl er nicht weiß, ob er es jemals zurückgezahlt bekommt. Der Kritiker streitet nicht ab, dass es Männer gibt, die Grenzen nicht wahrnehmen und überschreiten. Allerdings zeichnet der Film ein eindimensionales Bild.

Die Stilmittel sind eine Geschmacksfrage. Da laufen die Frauen gefühlt stundenlang durch die New Yorker U-Bahn, um zu verdeutlichen, dass die Zeit zwischen den Behandlungen totgeschlagen werden muss. Sie ziehen dabei einen Koffer auf Rollen hinter sich her, der in erster Linie Ballast ist. Alltagsgeräusche wie das Ausziehen eines Gummihandschuhs sind überlaut. Szenen wie die Anmeldung in der Klinik werden wiederholt. Diese Stilmittel dienen der Vermittlung der Qual und sie werfen die Frage auf, ob es geschickt ist den Zuschauer zu quälen, um zu vermitteln, dass auf der Leinwand jemand leidet? Und ob es nicht klüger gewesen wäre, die Zeit anders zu füllen und Autumn eine Vita zu spendieren?

Eine entscheidende Frage kann nur die Regisseurin beantworten. Fehlt es der Schauspielerin Sidney Flanigan an Ausdruck und Bandbreite oder soll die von ihr gespielte Autumn absichtlich so muffig und spannungslos sein? Für Letzteres spricht die Annahme, dass das Drama nicht von einer Person, sondern von der Thematik handelt.

Der seltsame Titel ist der Handlung entliehen. Vor der Abtreibung muss Autumn eine Reihe von Fragen beantworten. Die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten lauten: Niemals. Selten. Manchmal. Immer.

Fazit
Hinter dem zunächst wenig aufschlussreichen Titel "Niemals Selten Manchmal Immer" steckt ein fordernder Autorenfilm, der mit sehr engem Fokus ein spezifisches Thema behandelt. Der mutet an, als habe die Filmemacherin ein Thesenpapier verfilmt und wenig Wert auf Bandbreite gelegt. Die Umsetzung des simplen Drehbuchs ist einseitig und eintönig. Leider ist die Chance vertan darzustellen, wie die Schwangerschaft eine Frau verändert. Für Freunde des fordernden Programm- und Autorenkinos vielleicht sehenswert.
Filmkritik: Thomas Maiwald
Wertung: 60 %


Land: GroßbritannienUSA
Jahr: 2020
Laufzeit ca.: 102
Genre: Drama
Verleih: Universal Pictures International
FSK-Freigabe ab: 6 Jahren

Kinostart: 01.10.2020
Heimkino: 11.02.2021

Regie: Eliza Hittman
Drehbuch: Eliza Hittman

Schauspieler: Ryan Eggold • Talia Ryder (Skylar) • Théodore Pellerin • Sidney Flanigan (Autumn) • Sharon Van Etten • Carolina Espiro (Michelle) • Drew Seltzer (Manager Rick) • Brett Puglisi (Juror) • Lester Greene (Busfahrer) • Guy A. Fortt (Security) • Kim Rios Lin (Anästhesist) • Aurora Richards (Hayden)

Produktion: Lia Buman • Rose Garnett • Tim Headington • Sara Murphy • Alex Orlovsky • Elika Portnoy • Adele Romanski
Szenenbild: Meredith Lippincott
Kostümbild: Olga Mill
Maskenbild: Rachel Toledo
Kamera: Hélène Louvart
Musik: Julia Holter
Schnitt: Scott Cummings

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Bild: Universal Pictures International

1 customer review

befriedigend
08.09.20
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