Hugo Cabret

Kinoplakat Hugo Cabret

Eine Verbeugung vor Stummfilmklassikern und ein kleiner Junge, der seinen Platz im Leben sucht. Wie passt das zusammen? Man darf gespannt sein, wo Scorsese die Brücke schlägt.

Paris nach dem Ersten Weltkrieg. Hugo (Asa Butterfield) lebt nach dem Tod seines Vaters bei seinem ungeliebten Onkel, der als Mechaniker die Uhren eines Pariser Bahnhofs wartet und aufzieht. Als Erinnerung an seinen Vater ist Hugo ein aufziehbarer Kunstmensch geblieben, der leider defekt ist. Hugo setzt alles daran diesen Automaten zu reparieren, weil er hofft, er wird ihm eine geheime Botschaft seines Vaters überbringen. Dazu stiehlt er mechanische Ersatzteile beim Spielzeughändler Georges Méliès (Ben Kingsley). Als der ihn eines Tages auf frischer Tat erwischt, nimmt er Hugo das Notizbuch weg, in dem sein Vater Ideen zur Reparatur des Automaten-Menschen eingetragen hat. Um wieder an das Notizbuch zu gelangen, schließt Hugo mit Méliès' Patenkind Isabelle (Chloë Grace Moretz) Freundschaft. Die trägt einen Schlüssel um den Hals, der das Starten des Automaten ermöglicht. Wie passen diese Umstände zueinander? Die Kinder beschließen, das Geheimnis zu lüften und gehen auf Entdeckungsreise.

Kritik

Regisseur Martin Scorsese möchte mit "Hugo Cabret" an die Pionierzeit des Kinos erinnern. Dabei geht er nicht so weit, gleich einen Stummfilm zu drehen – verzichtet anfangs jedoch auffällig oft auf gesprochene Dialoge und verleiht dem Ganzen einen Hauch gute alte Zeit. Und er setzt auf die Magie der Bilder. Die meiste Zeit zeigen diese das Innere des Bahnhofs, das ähnlich wie ein Uhrwerk fein tariert abläuft. Züge fahren ein und aus und Menschen gehen ihren Geschäften nach.

Der Film führt nur wenige Handlungsorte und Figuren ein. Stellvertretend für eine ganze Nation, die die Schrecken des Ersten Weltkrieges noch nicht verarbeitet hat, leiden der Stationsvorsteher und der Spielwarenhändler unter einer Verletzung. Der Stationsvorsteher (Sacha Baron Cohen) wurde im Krieg verwundet; sein Bein zwingt ihn zu hinken – was ihn zu einer Art Slapstickfigur macht (die allerdings nicht so weit geht echten Slapstick zu bieten). Seine Wut lässt er an Kindern aus, die er gemeinsam mit seinem Dobermann jagt und dann ins Waisenhaus verfrachten lässt. Hugo ist eines seiner bevorzugten Jagdobjekte – doch der Junge kann immer wieder entwischen. Und dann ist da noch der Spielwarenhändler Méliès, dessen Verletztheit daher rührt, ein verkanntes Genie zu sein. Er macht Hugo das Leben ebenfalls schwer. Als Bindeglied zwischen ihnen fungiert Méliès' Nichte Isabelle. Gemeinsam decken die Kinder das Geheimnis des alten Mannes auf. Das relativ banal ist: Er ist ein französischer Filmpionier.

Viel mehr als Höhepunkte der ersten Stummfilme Revue passieren zu lassen, bietet "Hugo Cabret" trotz zwei Stunden Lauflänge nicht. Der Film versucht zwar von der "Erfindung der Träume" und dem Sinn des Lebens zu erzählen, doch traumhaft wirkt die Handlung auf mich nicht. Vielmehr ist sie ein glattes Spektakel. Und ihre Philosophie, die Menschen und Maschinen vergleicht und meint, man könne Menschen reparieren, mag Schuldmedizinern geläufig sein - ich selbst kenne den Unterschied zwischen einer Maschine und mir. Was ich weiterhin vermisse ist Flair. Die Franzosen tanzen zwar auf dem Bahnhof, die Kamera schwenkt immer wieder auf den Eiffelturm, mal steht ein Glas Rotwein wie zufällig im Bild oder ein Blech mit frisch gebackenen Croissants – doch die Klischees erzeugen selbst in der Anhäufung keine französische Atmosphäre. Außerdem missfällt mir, dass die ereignisarme Handlung abrupt erzählt wird.

Den Film in ein Genre einzuordnen fällt schwer. Er hat durchaus Elemente eines Kinderfilms und gleichzeitig finde ich ihn als solchen zu hart. Hugo etwa hat seinen Vater bei einem Brand verloren. An das Schicksal der Mutter erinnere ich mich nicht. Dann kommt er in die Obhut eines trinkenden Onkels, der ihm verbietet in die Schule zu gehen und zur Arbeit zwingt. Der fiese Onkel wiederum ertrinkt eines Tages in der Seine. Zudem wird Hugo vom Bahnhofsvorsteher gejagt; muss sein täglich Brot stehlen, sieht einer ungewissen Zukunft entgegen und muss selbst im Winter in kurzen Hosen herumlaufen. Isabelle ergeht es nur geringfügig besser. Auch sie lebt nicht bei ihren leiblichen Eltern. Das ist für die Nachkriegszeit sicherlich nicht ungewöhnlich. Doch was macht eine solche soziale Härte in einem Film für die ganze Familie? Weiterhin missfällt mir die sockelhafte Inszenierung der Erwachsenen, die die Kamera gerne überhöht darstellt und die an Figuren eines Albtraums erinnern. Zum Schluss würde ich gerne sagen, dass die Schauspieler ihre Sache gut machen. Doch dem ist nicht so. Selten war Ben Kingsley so blass wie in diesem Film. Sacha Baron Cohen fällt mit seiner Darstellung aus dem Rahmen. Chloë Grace Moretz bleibt in der Rolle austauschbar; ebenso Asa Butterfield.

Fazit
"Hugo Cabret" baut auf zwei Säulen, die mir beide nicht zusagen. Würde ich Höhepunkte aus Stummfilmen sehen wollen, sähe ich mir eine Dokumentation an. Mich interessieren Stummfilme jedoch nicht. Somit fällt eine Säule weg. Gut gemachte Abenteuerfilme mag ich – doch als Abenteuer ist mir "Hugo Cabret" zu emotionslos. Hinsichtlich dessen laste ich Scorsese das unerfreuliche Drehbuch nicht an – wohl aber die sterile Inszenierung. Einen Lichtblick gibt es: Der 3D-Effekt ist gelungen.
Filmkritik: Thomas Maiwald
Wertung: 60 %


Original Filmtitel: The Invention Of Hugo Cabret
Land: USA
Jahr: 2011
Laufzeit ca.: 126
Genre: 3DAbenteuerFamilie
Verleih: Paramount Pictures
FSK-Freigabe ab: 6 Jahren

Kinostart: 09.02.2012
Heimkino: 16.08.2012

Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: John Logan
Literaturvorlage: Brian Selznick

Schauspieler: Ben Kingsley (Georges Méliès) • Sacha Baron Cohen (Stationsvorsteher) • Asa Butterfield (Hugo Cabret) • Chloë Grace Moretz (Isabelle) • Ray Winstone (Onkel Claude) • Emily Mortimer (Lisette) • Christopher Lee (Monsieur Labisse) • Helen McCrory (Mama Jeanne) • Michael Stuhlbarg (Rene Tabard) • Frances de la Tour (Madame Emilie) • Richard Griffiths (Monsieur Frick) • Jude Law (Hugos Vater) • Kevin Eldon (Polizist) • Gulliver McGrath (Tabard, jung) • Shaun Aylward (Kind) • Emil Lager (Django Reinhardt) • Angus Barnett (Theater-Manager) • Edmund Kingsley (Techniker) • Max Wrottesley (Ingenieur) • Marco Aponte (Assistent) • Ilona Cheshire (Kellnerin) • Francesca Scorsese (Kind) • Emily Surgent (Kind) • Lily Carlson (Kind) • Frederick Warder (Arabischer Ritter) • Christos Lawton (Arabischer Ritter) • Tomos James (Arabischer Ritter) • Ed Sanders (Tabards Bruder) • Terence Frisch (Marktschreier) • Max Cane (Marktschreier) • Frank Bourke (Gendarm) • Stephen Box (Gendarm) • Ben Addis (Salvador Dali) • Robert Gill (James Joyce)

Produktion: Johnny Depp • Tim Headington • Graham King • Martin Scorsese
Szenenbild: Dante Ferretti
Kostümbild: Sandy Powell
Maskenbild: Morag Ross
Kamera: Robert Richardson
Musik: Howard Shore
Schnitt: Thelma Schoonmaker

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Bild: Paramount Pictures

1 customer review

befriedigend
09.02.12
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