Die Journalistin Amy Liptrot gewann für ihr Buch "The Outrun" Preise. Der deutsche Titel lautet "Nachtlichter". Liptrot verarbeitet darin einen Abschnitt ihres Lebens und verantwortet auch das Drehbuch zum Drama "The Outrun". Unter der Regie von Nora Fingscheidt wurde daraus ein Kunst-Drama mit Saoirse Ronan in der Hauptrolle.
Rona hat die erste kritische Phase überschritten und ist länger als drei Monate trocken. Das ist ein Anfang und den Rest ihres Lebens wird sie jeden Tag darum kämpfen müssen, weiterhin eine trockene Alkoholikerin zu sein.
Kritik
Das Drama erzählt Ronas Geschichte nicht chronologisch, sondern springt, teils rasant. Das erschwert den Einstieg in die Handlung; als Orientierung dient dem Publikum die Haarfarbe der Hauptdarstellerin, die zwischen blau, herausgewachsen, blond und rosa wechselt. Verkürzt gesprochen, werden verschiedene Lebensabschnitte behandelt: die Kindheit, als Alkoholikerin Anfang Zwanzig und die Zeit nach dem Entzug.
Der Film analysiert das Leben seiner Hauptfigur nicht, sondern serviert Häppchen. So als würde ein Mensch sich erinnern und das erzählen, was ihm gerade in den Sinn kommt. Es werden weder der Weg der Person, noch eine Entwicklung geschildert. Das wirft die Frage auf, ob es eine geschickte Idee war, die Buchvorlage auf diese Weise umzusetzen. Die Konzentration auf die Hauptdarstellerin, in Verbindung mit den vielen inhaltlich ähnlichen Szenen, macht die Erzählung narzisstisch, denn Rona steht im Mittelpunkt, während die restlichen Rollen ihr zuarbeiten. Es ist nicht falsch zu sagen, dass es ein Saoirse-Ronan-Film ist. Die Kamera kommt der Hauptdarstellerin so nahe, dass sogar die Poren im Gesicht zu sehen sind. Die Nähe erzeugt durchaus den Eindruck von Tiefe – aber wer sich nicht blenden lässt, erkennt, dass die Aussagen des Dramas flach ausfallen. Rona philosophiert in kurzen Blasen über die Raumstation, Selkies (die auch in der "Melodie des Meeres" eine Rolle spielen) oder darüber, dass Wasserpflanzen den meisten Sauerstoff erzeugen. Letzteres war dem Kritiker bekannt und er hätte es begrüßt, mehr über die Figur Rona zu erfahren, als dieses Kalenderblatt-Wissen serviert zu bekommen.
Als lästig empfindet er die Wiederholungen der inhaltlich ähnlichen Szenen. Während einer Sitzung bei den "Anonymen Alkoholikern" erzählen die Männer Ähnliches (Bestrafung der Partnerin mit Fäkalien). Rona spaziert am Meer (wobei das Wasser bekanntlich das Unterbewusste widerspiegelt), ist betrunken und randaliert. Sie zerrüttet ihre Beziehung zu Daynin oder führt Streitgespräche mit der gläubigen Mutter. Leider werden die Beziehungen der Personen untereinander nicht untersucht. Ronas Mutter gibt an, dass die bipolare Störung ihres Ehemannes sie stark belastet hat und sie im Glauben Trost fand. Ob der Vater eine Verantwortung für die Sucht der Tochter trägt, erforscht das Drama nicht. Auch nicht, warum Rona zur Alkoholikerin wurde.
Der gleichförmige Stil wiederholt ebenfalls: Die Handkamera schwankt extrem in den Momenten, in denen Rona betrunken ist. Bunte Stroboskopeffekte beleuchten Gesichter. Der übermäßige Gebrauch der Stilmittel verleiht dem Film eine selbstverliebte Note, weil er in sich selbst schwelgt.
Die Orkney Inseln sind ähnlich rau wie die Hauptfigur. Die Darstellung von Religiosität ist widersprüchlich. Wenn die Mutter betet, kocht Rona hoch. Wenn die Anonymen Alkoholiker vor ihrer Sitzung beten, ist das in Ordnung.
Fazit
Das Drama "The Outrun" erzählt stark stilisiert belanglose Episoden eines Lebens. Es beginnt mit Hochspannung und hält den Spannungsbogen hoch. Saoirse Ronan nutzte die Chance zum Austoben. Ihre schauspielerische Leistung ist sehenswert. Das Drama als solches ist es nicht.
Filmkritik: Thomas Maiwald
Wertung: 50%
Jahr: 2024
Laufzeit ca.: 119
Genre: Drama
Verleih: Studiocanal
FSK-Freigabe ab: 12 Jahren
Kinostart: 05.12.2024
Regie: Nora Fingscheidt
Drehbuch: Amy Liptrot • Nora Fingscheidt • Daisy Lewis
Literaturvorlage: Amy Liptrot
Schauspieler: Saoirse Ronan (Rona) • Paapa Essiedu (Daynin) • Seamus Dillane (James) • David Garrick (Dave) • Aniya Sekkanu (Dr. Rasamalar) • Stephen Dillane (Andrew) • Saskia Reeves (Annie) • Eilidh Fisher (Evie) • Jacqui Hirst (Ingrid) • Nicola Kilpatrick (Gina) • Dawn Johnson (Kirsty) • Izuka Hoyle (Gloria)
Produktion: Sarah Brocklehurst • Jack Lowden • Dominic Norris • Saoirse Ronan
Szenenbild: Andy Drummond
Kostümbild: Grace Snell
Maskenbild: Kat Morgan
Kamera: Yunus Roy Imer
Musik: John Gürtler • Jan Miserre
Schnitt: Stephan Bechinger
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Bild: Studiocanal