8 Frauen

Kinoplakat 8 Frauen

Wir lieben das Kino, weil es der große Betrüger ist: Für anderthalb Stunden sind wir entführt in eine andere Welt, wir leiden, wir freuen uns mit den Protagonisten. Die Figuren da auf der Leinwand, das sind wir, für den begrenzten Zeitraum im dunklen Saal. Wir leben das Leben von anderen.

Anders bei "8 Frauen". Bereits der Vorspann macht dem Zuschauer klar, dass er hier keine Illusion des Kinos zu erwarten hat: Die verschneiten Bäume im Hintergrund sind ganz offensichtlich gemalte Kulisse, der Schnee bemüht sich nicht einmal darum, wie echter Schnee auszusehen. Du befindest dich in einem Theater, sagen diese Bäume, und der Schnee fügt hinzu: Das Theater hat andere Gesetze als das Kino. Also glaub nicht, dass du hier eine Illusion des Lebens bekommst.
Regisseur François Ozon steckt seine Figuren im Film in eine Versuchsanordnung und dass das Buch auf einem Theaterstück beruht merkt man in jeder Faser. "8 Frauen" und ein toter Mann befinden sich in einem verschneiten Haus, abgeschnitten von der Außenwelt. Daneben erfüllen die Songs die wichtige Aufgabe, Abstand zur Handlung zu schaffen: Grade eben noch wurde Augustine von den anderen als verbitterte Jungfrau beschimpft, da setzt sie sich ans Klavier und singt ihr Lied "Message personnel", während die anderen auf dem Treppenabsatz sitzend lauschen und mit Hundeblick mitsummen. "Ihr alle denkt ich hasse euch, dabei liebe ich euch – ihr versteht nur meine Liebe nicht." Die Lieder sind wie Inseln in dem Rausch der Farben und Gefühle, dem man in der Handlung ausgesetzt ist, Inseln auch für die jeweilige Interpretin, die wenigstens in diesen Momenten keine neuen Katastrophen erwarten muss. Nicht zuletzt sind sie wundervolle kleine Chansons. Erst nach dem letzten Ton wird wieder weiter gehasst.

Da der Mörder nicht von außen gekommen sein kann, muss er sich noch unter den Anwesenden befinden - ein Plot wie in den besten Zeiten Agatha Christies. Zwangsläufig findet sich auch ein selbst ernannter Poirot, hier in der Figur der burschikosen Catherine (Ludivine Sagnier), der Tochter des Hauses, die mit ihrer zugereisten Schwester Suzon die Befragung der Verdächtigen startet. Die anderen sieben Film-Frauen sind personifizierte Klischees: Mamy (Danielle Darrieux), die geizige Großmutter, Gaby (Catherine Deneuve), die aus Langeweile fremdgehende Ehefrau, Augustine (Isabelle Huppert), die verbitterte Meckerziege, Louise (Emmanuelle Béart), das verführerische Dienstmädchen, Suzon (Virginie Ledoyen), das verwöhnte gebildete Mädchen, Madame Chanel (Firmine Richard), die resolute Köchin und Pierette (Fanny Ardant), die laszive Halbweltdame. Ausnahmslos alle Figuren sind überzeichnet: Das ist die Aufgabe des Theaters, der Versuchsanordnung.
Am klarsten wird das sicher in der Figur der Augustine, die Isabelle Huppert in gewohnt souveräner und beeindruckender Weise gibt. Die Songs zwischen den Szenen (jede Frau darf im Kino-Film einen singen) charakterisieren sie auf eine Weise, die an Brecht erinnert. Was Ozon mit der Inszenierung dieses Films gelingt, macht ihn vielleicht zum größten Frauenverehrer nach Pedro Almodovar; man muss aber in Rechnung stellen, dass ihm dabei die Creme de la Creme der Schauspielerei zur Verfügung stand. Es ist schon beeindruckend, wie hier die großen und ewig wiederkehrenden Figuren der (Kino-)Geschichte als Typen wieder auftauchen - zum Teil sogar als konkrete Bilder wie in der Szene, als Louise ein Foto ihrer vorherigen Herrin zeigt, auf dem Romy Schneider zu sehen ist. Dazu passen die Ansiedlung der Handlung in den 50er Jahren, die Farbgebung der Kulisse, die an Technicolor erinnert, sowie die Verweise auf die großen Diven des Kinos (Ardant trägt zum Beispiel Kleider im Stile "Gildas", in deren Rolle Rita Hayworth brillierte).

Wenn sich am Ende zwei große Damen des französischen Kinos, Catherine Deneuve und Fanny Ardant, küssend am Boden wälzen, dann ist das zum einen wahnsinnig komisch; die daraus entstehende Erotik erwächst aber bemerkenswerterweise aus dem Vorwissen des Zuschauers, wer sich da grade wirklich in den Armen liegt - denn wenn jemand das französische Kino der letzten Jahrzehnte verkörpert, dann sind es diese beiden Frauen.

"8 Frauen" ist, so Regisseur Ozon, "ein anti-naturalistischer Film, der Stilisierung und Künstlichkeit nutzt, um weibliche Schönheit und Glamour zu vermitteln. Jede Schauspielerin sollte ein Schönheitsideal verkörpern, das das Publikum zum Träumen bringt, aber dadurch den Schrecken und die Grausamkeit noch geheimnisvoller und unheimlicher wirken lässt." Il n'y a pas d'amour hereux, es gibt keine glückliche Liebe, aber das kann nicht das Ende sein. Spätestens beim nächsten Kinobesuch werden wir wieder der Illusion, auch der einer glücklichen Liebe, erliegen. Die französische Traumfabrik ist in jedem Fall um einen großen Film reicher. Vorhang und standing ovations.
Filmkritik: Tina Manske
Wertung: 80 %


Original Filmtitel: 8 Femmes
Land: FrankreichItalien
Jahr: 2002
Laufzeit ca.: 111
Genre: MusikSpielfilm
Verleih: Universum Film
FSK-Freigabe ab: 12 Jahren

Kinostart: 11.07.2002
Heimkino: 01.04.2003

Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon • Marina de Van

Schauspieler: Isabelle Huppert (Augustine) • Emmanuelle Béart (Louise) • Fanny Ardant (Pierrette) • Catherine Deneuve (Gaby) • Virginie Ledoyen (Suzon) • Danielle Darrieux (Mamy) • Ludivine Sagnier (Catherine) • Firmine Richard (Madame Chanel) • Dominique Lamure (Hausherr)

Produktion: Olivier Delbos • Marc Missonnier
Kamera: Jeanne Lapoirie
Musik: Krishna Levy
Schnitt: Lawrence Bawedin

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Bild: Universum Film

2 customer reviews

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