Für Elisabeth kommt ein Anruf der Schule aus heiterem Himmel und auf das Publikum bricht das Drama herein, indem Elisabeths Auto mit hohem Tempo über eine Landstraße fährt. Mit der Ankunft in der Schule beginnt ein Spiel aus Anklage und Verteidigung.
Armands Lehrerin begrüßt Elisabeth, die alleinerziehende Mutter des Jungen. Deren Sohn wird beschuldigt, Jon belästigt zu haben. So sagt es dessen Mutter Sarah aus, die ihren Sohn befragt hat. Jons Vater Andres hat zunächst wenig zum Vorfall zu sagen. Für Elisabeth klingen die Vorwürfe von sexueller Belästigung konstruiert, denn sie behandeln zwei sechs Jahre alte Jungen. Elisabeth ist von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt und reagiert dementsprechend. Anklägerin Sarah hat das schon zu oft erlebt und zeigt das deutlich. Im ersten Akt findet das Gespräch im kleinen Kreis statt.
Mit dem Schuldirektor und einer Lehrerin nehmen weitere Personen an der Besprechung teil. Auch thematisch beginnt der Fall im zweiten Akt Kreise zu ziehen. Elisabeth gerät in ein schlechtes Licht, weil sie Schauspielerin ist. Die macht immer Theater. Im nächsten Akt verlässt der Fokus das Besprechungszimmer, behandelt nun auch die Ehe von Sarah und Anders und das Verhältnis der Erwachsenen, die in Verwandtschaft zueinander stehen.
Kritik
Das Thema ist eingangs fokussiert und die junge Lehrerin wird als Bauernopfer gebracht. Dann beginnt das Mäandern. Die Personen verlassen den Besprechungsraum für zunehmend längere Unterbrechungen. Sind es anfangs nur Pausen für Toilettengänge, geistern die Menschen jetzt durch die Schule. Sarah und Anders nehmen sich die Zeit für einen Ehestreit. Das Kollegium bespricht den Fall. Im ersten Moment macht es den Eindruck von Verschnaufpausen. Diese Annahme widerlegen die weiteren Abschweifungen. Durch die dramaturgischen Entscheidungen ist es kein Kammerspiel und die Handlung verliert an Dichte und der Spannungsbogen bricht mehrfach ein.
Die Schranken des klassischen Dramas fallen ebenfalls und es wird experimentell. Eine Tanzeinlage von Elisabeth und dem Putzmann verwundert. Elisabeth steht im Mittelpunkt eines Ausdruckstanzes und im Finale stimmt das Kollegium mit den Füßen ab. Diese und weitere Stilmittel strengen an. Beispielsweise die Entscheidung, die Lehrkörper wie Politiker sprechen zu lassen. Kein Satz ohne Einschübe und verbales Winden. Niemand legt sich fest. Auffällig ist das Füllmaterial. Der Direktor wandert durch die Schule und begutachtet schadhafte Mauern. Die hinzugezogene Lehrerin reagiert auf ihr chronisches Nasenbluten unvorbereitet und unterbricht damit die Besprechung. Derart bekommen möglichst viele Personen des Films Raum. Was nicht immer glücklich austariert ist. Einige Szenen sind zu lang geraten, etwa der hysterische Anfall.
Die Wendungen erstaunen. Anfangs behauptet der Direktor, es existieren keine Vorgaben für einen solchen Vorfall. Später gibt es genaue Regeln, die schriftlich vorliegen. Will der Direktor erst allen Seiten gerecht werden, bezieht er später klar Stellung gegen Elisabeth.
Das Wetter ist dem Anlass entsprechend stark bewölkt, das Licht gedämpft. Die überlauten Geräusche, die anfänglich zu hören sind, verklingen zu normaler Lautstärke. Das Filmmaterial ist körnig. Der Regisseur Halfdan Ullmann Tøndel spricht von Szenen mit Humor. Der Kritiker kann diese nicht erkennen.
Ein Problem gab es während der Pressevorführung mit dem norwegischen Original mit deutscher Untertitelung. Den gesamten Film über blitzten vereinzelt Untertitel nur für eine geschätzte Sekunde auf und waren in der Kürze nicht lesbar. Ab dem Ehestreit fehlten die Untertitel nahezu gänzlich. Heißt: Die Handlung war ab dem Zeitpunkt unverständlich, weil das Gesagte nicht aus der Körpersprache abgeleitet werden konnte. Somit fehlt die Auflösung des Plots. Mehrere Kritiker verließen den Kinosaal, der Kritiker blieb bis zum Abspann. Diejenigen, die die Pressevorführung nicht verlassen hatten, standen später beisammen und versuchten gemeinsam den Plot zu deuten. Ein eindeutiges Ergebnis gibt es nicht.
Fazit
"Armand" ist ein experimentelles Drama. Der Ausgangspunkt ist überzogen, denn es handelt mitnichten von sexueller Gewalt unter Kindern. Ein Streit unter Jungs reichte vollkommen aus. Die experimentelle Bildsprache passt ins ausufernde Konzept. Als Fernsehfilm annehmbar.
Filmkritik: Thomas Maiwald
Wertung: 40 %
Jahr: 2024
Laufzeit ca.: 117
Genre: Drama
Verleih: Pandora Filmverleih
FSK-Freigabe ab: -
Kinostart: 21.11.2024
Regie: Halfdan Ullmann Tøndel
Drehbuch: Halfdan Ullmann Tøndel
Schauspieler: Renate Reinsve (Elizabeth) • Ellen Dorrit Petersen (Sarah) • Endre Hellestveit (Anders) • Thea Lambrechts Vaulen (Sunna) • Øystein Røger (Jarle) • Vera Veljovic (Ajsa) • Assa Siddique (Faizal) • Patrice Demonière (Emmanuel)
Produktion: Andrea Berentsen Ottmar
Szenenbild: Mirjam Veske
Kostümbild: Alva Brosten
Maskenbild: Evalotte Oosterop
Kamera: Pål Ulvik Rokseth
Musik: Ella van der Woude
Schnitt: Robert Krantz
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Bild: Pandora Filmverleih