Alt und Jung sind im Film ein beliebtes Thema. "Der Buchspazierer" fügt dem Genre ein weiteres Kapitel hinzu. In einem Dorf liefert Carl Kollhoff jeden Tag die im Buchgeschäft gekaufte Literatur an seine Kunden aus. Bücher sind die Welt, in der er lebt und in die er sich zurückgezogen hat. Obwohl er tagaus tagein mit Menschen in Kontakt kommt, meidet er persönliche Kontakte.
Das ändert sich, als das Mädchen Schascha ihn als neuen Freund auserkort. Der Mann hält wenig vom jungen Bücherwurm. Doch deren kindliches Gespür sagt ihr, dass zwischen beiden eine Verbindung besteht. Das will Herr Kollhoff nicht einsehen – aber er muss sich auf Dauer geschlagen geben.
Kritik
Die dramatische Komödie über einen kauzigen Mann und ein unbefangenes neunjähriges Mädchen ist mit Yuna Bennett als Schascha und Christoph Maria Herbst als altem Kauz besetzt. Die zwei spielen gut zusammen und die für die Komik wichtigen Zeitpunkte sind stimmig gesetzt. Sehenswert ist auch die Umgebung, die in vielen Außenaufnahmen eingefangen worden ist.
Für den Wohlfühl-Film wurden Stolpersteine geglättet. So verwundert es, dass die Menschen in dem überschaubaren Dorf derart viele Bücher kaufen und lesen. Nicht glaubwürdig ist das kitschige Finale, in dem die Bücher Brücken bauen.
Die Handlung ist durchgängig flach – was nicht stört, weil der Gesamteindruck stimmig ist. Das Genre schwankt zwischen Kinder- und Erwachsenenfilm. Zum Familienfilm passt, dass die Kundschaft aus Klischees besteht und Herr Kollhoff ihnen aus der Literatur entliehene Spitz-Namen verliehen hat. Wobei die Vergabe nicht überzeugt. Herr von Hohenesch ist ein reicher Erbe, altmodisch in Auftreten und Wortwahl. Er hat mit Mr. Darcy nur den Status gemein, denn der von Jane Austen erdachte Fitzwilliam Darcy ist komplexer und seine Motivation anderer Natur als die des Herrn Hohenesch. Frau Langstrumpf ist eine verängstigte, pensionierte Lehrerin, die in Büchern nach Tippfehlern sucht. Sie erinnert nicht an die mutige Pippi Langstrumpf. Auch wäre mehr Raum für die Nebenrollen denkbar. Das Essen von Pinguin-Eis zählt zur Seelenpflege.
An Erwachsene adressiert sind Themen wie Strukturwandel und Trauer. Herr Kollhoff hat im modernen Einzelhandel keinen Platz mehr. Warum er nach seiner Kündigung alle Bücher verkaufen muss, bleibt unerklärt. Das Verhältnis von Tochter und Vater rangiert auf einfachem Niveau. Hier wäre mehr möglich gewesen. Zumal Ronald Zehrfeld als Vater wunderbar mit seiner Film-Tochter zusammenspielt. Schascha wird leider nur selten in Kontakt mit Gleichaltrigen gezeigt und in Bezug gesetzt. Die drei Hauptpersonen müssen Trauer bewältigen. Der problematische Anteil der Handlung überzeugt weniger als der komödiantische. Der Handlungsstrang mit Herrn Kollhofffs Buch-Geschenk für Schaschas Vater ist unglaubwürdig. Die Filmmusik meint es wiederholt zu gut. Wie gesagt, fällt es leicht, über die Stolperstellen hinwegzusehen, weil der Gesamteindruck stimmig ist.
Fazit
"Der Buchspazierer" ist eine sehenswerte dramatische Komödie mit stimmiger Besetzung (auch in den Nebenrollen) und einer einfachen Handlung. Der leicht angestaubte Charakter passt gut zum Thema Bücher. Das Genre ist nicht eindeutig getroffen. Sehenswert.
Filmkritik: Thomas Maiwald
Wertung: 70 %
Jahr: 2024
Laufzeit ca.: 98
Genre: Drama • Komödie
Verleih: Studiocanal
FSK-Freigabe ab: 6 Jahren
Kinostart: 10.10.2024
Regie: Ngo The Chau
Drehbuch: Andi Rogenhagen
Literaturvorlage: Carsten Henn
Schauspieler: Christoph Maria Herbst (Carl Kollhoff) • Yuna Bennett (Schascha) • Maren Kroymann (Frau Langstrumpf) • Ronald Zehrfeld (Schaschas Vater) • Edin Hasanović (Mr. Darcy) • Hanna Hilsdorf (Effi) • Tristan Seith (Herkules) • Nikola Kastner (Frau Jattkowiak) • Viet Pham (Leon) • Mercy Dorcas Otieno (Frau Degkwitz) • Christa Krings (Obstverkäuferin) • Ella Lee (Schascha) • Patrick Berg (Effis Mann) • Thomas Lindhout (Gerichtsvollzieher) • Zejhun Demirov (Paketbote) • Andrew Vanoni (Goldener Mann) • René Blanche (Maler)
Produktion: Daniel Hartmann • Björn Vosgerau
Szenenbild: Gabriella Ausonio
Kostümbild: Minsun Kim • Marita Hoffjann
Maskenbild: Mirjam Himmelsberger • Iris Müther
Kamera: Ngo The Chau
Ton: Joern Martens
Musik: Marvin Miller • Sebastian Fillenberg
Schnitt: Felix Schekauski
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Bild: Studiocanal