Erbsen auf halb 6

Kinoplakat Erbsen auf halb 6

Das Roadmovie als romantische Liebesgeschichte, in deren Mittelpunkt zwei blinde Menschen stehen.

Es beginnt mit Gegenschnitten. Theater-Regisseur Jakob Magnuson (Hilmir Snær Guðnason) fährt nachts im Auto auf regennasser Straße. Ihm gehen die Bilder seiner Inszenierung durch den Kopf. In einem Schwimmbad erklimmt die blinde Lilly Walter (Fritzi Haberlandt) das Sprungbrett. Sie tastet vor, er gerät ins Schleudern. Zeitgleich tauchen beide ins Wasser ein. Lilly im Schwimmbad, Jakob verunglückt in einem Fluss.

Bei dem Unfall verliert der visuell geprägte Jakob das Augenlicht. "Wie soll ich jemals wieder sehen können ob eine Frau schön ist?", wird er verzweifelt fragen. Lilly dagegen erklärt, sie könne mit dem Körper und dem Gehör sehen. Die geburtsblinde Frau arbeitet als Lehrerin am Blindeninstitut und bietet Jakob ihre Hilfe an. Doch der lehnt barsch ab. Sein Bestreben alleine klarzukommen, endet mit innerem wie äußerem Chaos. Verzweifelt stürzt er sich vom Dach seines Wohnhauses, verfehlt aber das Ziel.

Nach dem Suizidversuch ist das Blindentraining mit Lilly der einzige Weg, der Jakob aus der geschlossenen Psychiatrie führt. Trotz der Fehlschläge ist er noch nicht zur Arbeit bereit und setzt seine Flucht fort. Er will nach Russland reisen um sich von seiner todkranken Mutter zu verabschieden. Auf dieser Reise begleitet Lilly den Dickschädel. Zunächst überwiegen auf ihrer Seite die Vorwürfe. Lillys Verlobter Paul vermutet, sie sei freiwillig gegangen - womit er nicht ganz Unrecht hat.

Kritik

Die Vorstellung eines Roadmovies mit zwei blinden Hauptdarstellern klingt unglücklich bis unmöglich. Doch das darauf einlassen lohnt. Der Film nutzt den Trip durch das ferne Land für eine innere Entdeckungsreise, gekoppelt an eine romantische Lovestory. Zwei Menschen tasten - besser gesagt - ertasten ihr Leben sowie ihre Beziehung. Das ist nicht immer umwerfend logisch, dafür aber umso romantischer. Dazu tragen die gelungene Regie, ein gutes Drehbuch, lobenswerte Darsteller sowie eine überdurchschnittlich gute Kameraarbeit bei. Der außergewöhnliche Ton macht den Film rund.

Mit dem Hinweis "Erbsen auf halb 6" lokalisieren blinde Menschen die Lage der Speisen auf einem Teller. Einer der kleinen Kniffe, die Lilly Jakob lehren möchte. Seine Geschichte ist der Kampf gegen die eigene Verzweiflung und Sturheit. Es dauert, bis er Lillys Nähe akzeptieren und ihre Liebe erwidern kann. Das gibt Raum für intime Momente. Etwa wenn Jakob gesteht, dass er ihr Schweigen nicht erträgt. Mangels geschärfter Sinne existiert Lilly für ihn nur, solange er sie hört.
Lilly erfährt auf der Reise ebenfalls eine Entwicklung. Beruflich ist sie zwar selbstständig, doch zu Hause wird sie von ihrer Mutter klein gehalten. Sie nutzt Russland um die Abnabelung von ihrer Familie zu vollziehen. Darüber hinaus beendet sie die Beziehung zu ihrem Verlobten Paul. Das passt ihrer Mutter ganz und gar nicht ins Konzept. Sie versucht Jakob madig zu machen, nennt ihn bewusst nur "den Blinden".

Regisseur Lars Büchel wollte Darsteller, mit unverbrauchten Namen. Mit Fritzi Haberlandt (Liegen lernen) und Hilmir Snær Guðnason (101 Reykjavik) hat er zwei Schauspieler gefunden, die die schwierigen Rollen gut meistern. Sie tragen zwar nicht den spezifischen Gesichtsausdruck von blinden Menschen; in einigen wenigen Augenblicken vergessen sie sogar ihre Blindheit und reagieren auf das Visuelle. Trotzdem wirkt die gespielte Blindheit glaubwürdig. Unterstützt wird ihr Spiel vom Schnitt, der verdeutlicht, was Lilly oder Jakob hören.
Stellen, an denen zu dick auftragen wird, bleiben im grünen Bereich. Obwohl der Film förmlich unter die Haut geht, löst er Anspannung regelmäßig in tragischer Komik auf. So endet Jakobs Selbstmordversuch, indem er auf die Dachterrasse eines Cafes fällt. Er landet im Erdbeerkuchen und wird von den Kaffee trinkenden Omas skeptisch beäugt.
Der schwarze Humor begleitet die gesamte Erzählung. In der russischen Einöde geraten die Blinden in eine Geisterstadt, deren Häuser nur aus Fronten bestehen. Selbst diese Gemeinheit löst der Film gelungen auf: Lilly erkennt das Malheur und macht sich einen Spaß daraus.

Ein wahres Fest für die Augen sind die Bilder des Films. Fast wirkt es, als wolle Kamerafrau Judith Kaufmann den Film mit zwei blinden Hauptdarstellern bewusst zu einem Fest für Sehende machen. Die erste Verfolgungsjagd zwischen Lilly und Jakob endet in einem blühenden Rapsfeld. Später versuchen die beiden Blinden einander zu belauschen. Die Kamera fängt sie ein, wie sie eigentlich Ohr an Ohr stehen - durch eine Wand getrennt.

Fazit
Ja, es gibt in dem Film Schwächen und Ungereimtheiten, die mich nicht stören. Wie in vielen anderen Filmen auch gibt es in Russland Menschen, die Deutsch sprechen. Und nicht alle Umstände sind zwingend logisch. Stört mich nicht und ich freue mich am Ganzen.
Filmkritik: Thomas Maiwald
Wertung: 80 %


Englischer Filmtitel: Peas at 5:30
Land: Deutschland
Jahr: 2004
Laufzeit ca.: 111
Genre: RoadmovieRomantik
Verleih: Senator Film Verleih
FSK-Freigabe ab: 6 Jahren

Kinostart: 04.03.2004
Heimkino: 02.12.2004

Regie: Lars Büchel
Drehbuch: Ruth Toma • Lars Büchel

Schauspieler: Fritzi Haberlandt (Lilly) • Hilmir Snær Guðnason (Jakob) • Harald Schrott (Paul) • Max Mauff (Ben) • Tina Engel (Regine) • Jenny Gröllmann (Franziska) • Alice Dwyer (Alex)  • Annett Renneberg (Nina) • Jens Münchow (Jan) • Michael Hanemann (Pfarrer) • Heinz Peters (Küster) • Petra Hartung (Pflegerin) • Jens Peter Brose (Mann im Anzug) • Aksana Assmann (Helena) • Imke Büchel (Puck) • Matthias Brenner (Bauer) • Caroline Dibbern (Kellnerin) • Thomas Kügel (Arzt) • Ina Holst (Zimmerwirtin)

Produktion: Hanno Huth • Ralf Zimmermann
Szenenbild: Christoph Kanter
Kostümbild: Lisy Christl
Maskenbild: Lena Lazzarotto • Jekaterina Oertel
Kamera: Judith Kaufmann
Musik: Max Berghaus • Stefan Hansen • Dirk Reichardt
Schnitt: Peter R. Adam

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{joomplucat:201 limit=3|columns=3}Bilder: Senator Film Verleih

1 customer review

gut
04.03.04
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