Im Jahr 1977 tritt Marcelo die Reise nach Recife an. Sein Vorhaben besteht darin, in der Küstenstadt seinen Sohn zu besuchen. Die Menschen feiern den Karneval, was mit einer hohen Anzahl an Toten einhergeht. Die Bevölkerung ist das gewohnt und nimmt die Todesfälle zur Kenntnis. Nicht einverstanden sind viele mit dem Regime, dem Marcelo unangenehm aufgefallen ist.
Kritik
Das Positive zuerst: "The Secret Agent" beleuchtet ein dunkles Kapitel der brasilianischen Vergangenheit und erleichtert den Zugang zum Themenkomplex durch die Darlegung eines Einzelschicksals. Es gefällt die handwerklich saubere Umsetzung. Auch das Plädoyer für mehr Toleranz und eine politisch linke Einstellung unterschreibt der Kritiker.
Leider ist der Film nicht nur durch seine Lauflänge von 158 Minuten schwer zugänglich. Zu viele Manierismen erschweren die Konzentration. Nicht zuletzt ist schwer zu sagen, welchen Gewinn der Einzelne aus dem Sehen gewinnt, denn der Inhalt ist persönlich und arbeitet mehr die Geschichte des Filmemachers auf als die Geschichte des Landes.
Den Kern bildet der Handlungsstrang mit Marcelo, auf den weitere Ebenen aufsetzen. Es gibt eine Diktatur, zivilen Ungehorsam und Gesellschaftskritik. Das Hinterfragen der sexuellen Orientierung und Romantik. Liebe zum Kino. Fantasy und Humor. Umgesetzt ist der Film in einer eigenwilligen Handschrift, die in Verbindung mit der Lauflänge nicht nur ein starkes Interesse am behandelten Thema voraussetzen, sondern auch Durchhaltevermögen. Nicht eben erleichternd sind die Zeitsprünge. Das ergibt keinen schlechten Film, sondern einen sehr spezifischen. Im Nachfolgenden dröselt der Kritiker die Punkte auf.
Dem Titel "The Secret Agent" wird der Film von Kleber Mendonça Filho (Drehbuch und Regie) nicht gerecht, denn es ist kein Spionage-Thriller, sondern ein Drama, das in den 1970er Jahren von einem Schicksal erzählt. Einem von vielen, die während der Diktatur ums Leben kamen. Hauptdarsteller Marcelo (eindimensional: Wagner Moura) ist ein unauffälliger Mann Mitte vierzig, der die Spielregeln kennt und versucht nicht aufzufallen – doch das war nicht immer so. Die Vergangenheit kann er nicht mehr ändern und die Konsequenzen holen ihn ein.
Das im Stil der Zeit, in der es spielt, inszenierte Drama erzählt in stoischer Ruhe mit vielen Dialogen, Füllszenen, Personen und chronologischen Sprüngen. Marcelo bildet den Mittelpunkt. Um ihn herum sind zu viele Elemente angeordnet. Manche erwecken im ersten Moment den Eindruck, für die Handlung entscheidend zu sein. Da zoomt die Kamera auf das Nummernschild eines Autos, ohne später einen erkennbaren Zusammenhang herzustellen. Im Nachhinein ist vieles belanglos und zieht die Handlung unnötig in die Länge, wie die erotische Szene zwischen Marcelo und der Zahnärztin. Auch die Einführung vieler Personen ist eine zweischneidige Entscheidung. Es entsteht ein Bild der Gesellschaft. Und es bleibt vieles offen, wird nur angedeutet: Da wird etwa darüber gesprochen, dass manche Männer nicht männlich genug sind. Das kann heißen, dass sie den Machismo nicht leben oder homosexuell sind. Zudem könnten die Beziehungen stärker ausgearbeitet sein. Schade auch, dass viele Szenen mehr geredet als gespielt sind und die Dialoge ermüden. Zuviel des Guten sind die berücksichtigten Themen. Eines lautet "Flüchtlinge in Brasilien". Manche stammen aus Afrika, der jüdische Schneider Hans aus Deutschland. Hier zeigt der Film guten Willen – sinnvoll ist die Berücksichtigung jedoch nur bedingt. Einige Aspekte sind für Deutsche schwer einzuordnen. Vielleicht ist es Teil der Kultur, dass Männer gerne mit offenem Hemd herumlaufen – selbst dann, wenn sie stark übergewichtig sind. Auffällig oft wird Oralverkehr gezeigt, bei dem die Frauen die Arbeit machen. Selbst im Kino, für das Kleber Mendonça Filho wohl eine Liebe empfindet, stehen die Hosen offen. Nicht zuletzt erschlägt die Filmmusik wiederholt.
Die Einbeziehung vieler Aspekte, Themen und Spielereien führt im Ergebnis dazu, dass es nicht immer leicht ist, den Kern der Sache zu erkennen. Die Handlung nimmt einen gleichförmigen Gang, springt, verschenkt Dichte und verzichtet auf einen klassischen Höhepunkt. Hilfreich wäre eine Einordnung in einen größeren Rahmen gewesen. Ja, es ist verständlich, dass Kleber Mendonça Filho mit der Linken sympathisiert. Auch der Kritiker möchte keinesfalls für die Diktatur sprechen. Gleichzeitig ist Brasiliens Geschichte nicht die deutsche und es steht die Frage im Raum, wen der Film ins Kino locken wird. Aus dem Presseheft geht nicht hervor, ob der Film synchronisiert wird. In der Pressevorführung gab es die portugiesische Originalfassung mit Untertiteln zu sehen.
Fazit
Kleber Mendonça Filho hat seinen Film aus persönlicher Sicht gedreht und viele persönliche Aspekte eingeflochten. Eine distanziertere Sichtweise wäre wünschenswert. Weniger Weitschweifigkeit und mehr Konzentration aufs Drama hätten aus "The Secret Agent" einen knackigeren und auch für die breite Masse zugänglicheren Film gemacht. Ja, der Kritiker kennt die Ansicht, dass Weitschweifigkeit ein Ausdruck von Intelligenz ist. Ein Anhänger dieser Theorie ist er nicht. Er schätzt "The Secret Agent" als einen Film ein, der für Festivals prädestiniert ist.
Filmkritik: Thomas Maiwald
Wertung: 50 %
Land: Brasilien • Deutschland • Frankreich • Niederlande
Jahr: 2025
Laufzeit ca.: 158
Genre: Drama • Historie
Verleih: Port au Prince Pictures
FSK-Freigabe ab: -
Kinostart: 06.11.2025
Regie: Kleber Mendonça Filho
Drehbuch: Kleber Mendonça Filho
Schauspieler: Wagner Moura (Marcelo Alves / Armando / Fernando) • Maria Fernanda Cândido (Elza) • Gabriel Leone (Bobbi) • Carlos Francisco (Seu Alexandre) • Alice Carvalho (Fatima) • Robério Diógenes (Euclides) • Hermila Guedes (Claudia) • Igor de Araújo (Sergio) • Ítalo Martins (Arlindo) • Laura Lufési (Flavia) • Udo Kier (Hans) • Roney Villela (Augusto)
Produktion: Emilie Lesclaux
Szenenbild: Thales Junqueira
Kostümbild: Rita Azevedo
Maskenbild: Marisa Amenta
Kamera: Evgenia Alexandrova
Ton: Moabe Filho • Pedrinho Moreira
Musik: Tomaz Alves Souza • Mateus Alves
Schnitt: Eduardo Serrano • Matheus Farias
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Bild: Port au Prince Pictures
