Ein fliehendes Pferd

Kinoplakat Ein fliehendes Pferd

Der introvertierte Helmut und seine liebenswürdige Frau Sabine verbringen, wie üblich, ihre Sommerferien am Bodensee. Durch Zufall treffen sie im Strandbad Klaus wieder, einen lebenslustigen Jugendfreund Helmuts. Klaus hat seine bildhübsche, junge Freundin Helene dabei, und die beiden weichen künftig nicht mehr von Helmuts und Sabines Seite. Sabine ist davon sehr angetan, aber Helmut wird bei den gemeinsamen Erinnerungen immer mürrischer.

Der Film "Ein fliehendes Pferd" ist die Verfilmung von Martin Walsers gleichnamiger Novelle aus dem Jahr 1978. Regie führte Rainer Kaufmann, der mit Katja Riemann schon den Erfolgsfilm "Die Apothekerin" inszenierte hat. Helmut Halm (introvertierter Muffel: Ulrich Noethen, bekannt aus "Der Untergang") ist ein Gewohnheitstier. Seit zwölf Jahren verbringt der eher muffelige, grüblerische Lehrer nun schon mit seiner Frau Sabine (voller Lebenslust: Katja Riemann, bekannt aus "Rosenstraße") die Sommerferien am Bodensee. Immer im selben Ferienhaus, immer zur gleichen Zeit. Da hat Helmut wenigstens die Kontrolle über alles, weil nie etwas passiert. Sabine, die sich ihre Fröhlichkeit und Neugier bewahrt hat, fügt sich den langweiligen Wünschen ihres Ehemanns, und versucht das Beste daraus zu machen. Aber dann passiert doch etwas. Eines Tages taucht nämlich im Strandbad plötzlich Klaus (nassforscher Draufgänger: Ulrich Tukur, bekannt aus "Das Leben der Anderen" und "Solaris") mit seiner bildhübschen und sehr jungen Freundin Helene (niedlich und anschmiegsam: Petra Schmidt-Schaller) auf. Klaus Busch ist ein Jugendfreund von Helmut, ein lauter, hyperaktiver und ständig dynamisch-kreativer Typ, der typische Macher mit cooler Sonnenbrille, weißem Jacket und zerknitterter Leinenhose. Also das krasse Gegenteil von Helmut. Sabine findet Klaus, der so ganz anders als ihr Helmut ist, interessant und sympathisch. Helmut würde den ungeliebten Kumpel aus vergangenen Tagen am liebsten zum Teufel schicken. Klaus erzählt begeistert Jugenderinnerungen, in denen Helmut grundsätzlich schlecht wegkommt. Sabine lacht sich darüber halb tot, Helene grinst, schmust mit Klaus und wirft Helmut immer mal wieder undefinierbare Blicke zu. Helmut prophezeit Sabine, dass sie Klaus und Helene nun für den Rest des Urlaubs wohl nicht mehr loswerden würden.

Und genauso passiert es, wobei Sabine das gar nicht so schlimm findet. Ganz im Gegenteil, endlich passiert was, endlich muss sie nicht mehr nur mit ihrem langweiligen Ehemann allein sein. Und schon macht Klaus gemeinsame Pläne: am nächsten Tag gehts zum Segeln! Helmut versucht sich zu drücken, aber umsonst. Er hat keine Ahnung vom Segeln und Angst vor dem Wasser, und außerdem überhaupt keine Lust, ständig seine Zeit mit dem penetrant gut gelaunten Klaus und seinen Geschichten von früher zu verbringen. Aber es hilft nichts. Wenigstens tröstet ihn der erfreuliche Anblick von Helene etwas, die sich oben ohne sonnt. Für den nächsten Tag wird gleich ein gemeinsames Essen ausgemacht. Helmut ist sauer, Sabine freut sich. Sie macht sich fein für dieses Essen, und Klaus weiß das – im Gegensatz zu Helmut – auch durchaus zu schätzen. Die beiden fangen an, ziemlich heftig miteinander zu flirten, Helmut versucht sich etwas ungelenk um Helene zu kümmern. Und als Helene nach ein paar Schnäpsen ein sehr trauriges schwedisches Volkslied singt, laufen Helmut die Tränen herunter. Dann folgt eine Partie Tischtennis, die aber in einer verbalen Katastrophe endet: Helmut wirft Klaus kurzerhand aus dem Haus. Am nächsten Tag wird Helmuts Alptraum noch verschärft: Klaus und Helene ziehen ins nachbarliche Ferienhaus ein. Angeblich hat es in ihrem Haus einen Rohrbruch gegeben, der das Domizil unbewohnbar gemacht hat. Klaus entschuldigt sich ganz förmlich für den vergangenen Abend, und Helmut muss die Entschuldigung wohl oder übel annehmen. Zu Helmuts Ferien-Vergnügungen gehört es, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen und ins Ried zu gehen, um seltene Vögel durch ein Fernglas zu beobachten. Er hat Helene dazu eingeladen, und plötzlich beschließen alle, mit ihm ins Ried zu gehen. Dummerweise verirrt sich Helmut auf den unübersichtlichen Wegen, und als sich der Ruf einer seltenen Rohrdommel dann auch noch als Scherz von Klaus entpuppt, ist die Stimmung natürlich völlig dahin. Auf der Heimfahrt beobachten die Vier, wie aus einem Anhänger ein Pferd ausbricht und stürmisch davon galoppiert. Sofort springt Klaus aus dem Wagen, und innerhalb kürzester Zeit gelingt es ihm, ganz ruhig und gelassen den Gaul wieder einzufangen. Dann schwingt sich Klaus plötzlich behände auf den Rücken des ungesattelten Pferdes und umkreist auf einem wilden Ritt die Wiese. Sabine ist einfach hingerissen, Helmut natürlich weniger. Klaus bemerkt dazu nur lakonisch, dass man fliehende Pferde niemals mit Gewalt aufhalten darf. Am nächsten Tag hat aber nicht Klaus sondern Helmut Rückschmerzen. Helene ist von Beruf Pilates-Trainerin und bietet an, ihn zu massieren. Helmut lässt sich das gerne gefallen und bekommt prompt einen gewaltigen Ständer. Es ist ihm peinlich, aber Helene geht da ganz locker drüber weg: "Das zeigt doch nur, dass du noch lebst!"

Sabine trifft in der Zwischenzeit beim Joggen auf Klaus. Und auch die beiden kommen sich näher, Zärtlichkeiten werden ausgetauscht, die Leidenschaft wächst, aber Sabine behält trotz allem einen kühlen Kopf und geht rechtzeitig. Zwischen Helmut und Sabine wächst die Eifersucht. Jeder wirft dem anderen vor, auf die neuen Bekannten scharf zu sein. Doch auch dieses Mal behält Sabine den Überblick: "Wir werden von den beiden verführt. Wir sollten aufpassen." Am Abend steht ein Besuch der Schiffs-Disco an. Helmut macht sich an Helene ran, aber die lässt ihn abblitzen. Sie tanzt lieber, und zwar allein, als mit ihm zu schlafen. Sex ist ihr nicht sehr wichtig, behauptet sie. Daraufhin lässt sich Helmut systematisch volllaufen und gesteht in seinem Suff sogar Intimfeind Klaus, wie wenig von seinen Jugendträumen übrig geblieben ist, und wie sehr ihn Lebensängste bedrohen. Beim Heimweg bricht Helmut volltrunken am Ufer zusammen. Als er am nächsten Morgen verkatert dort aufwacht, wankt er voller Selbstmitleid nach Hause. Sabine und Helene machen sich auf eine Einkaufstour, damit Helmut seinen Kater ausschlafen kann. Aber kaum sind sie weg, klopft auch schon der wie immer strahlende Klaus ans Fenster und fordert Helmut zu einem weiteren Segeltörn auf. Helmut will eigentlich nicht, lässt sich aber dann doch breitschlagen, und anschließend sitzen die beiden auf ihrem Boot in einer Flaute fest. Doch das ändert sich schlagartig, als plötzlich ein schwerer Sturm aufzieht. Helmut, der schon vor einem spiegelglatten See Angst hat, gerät bei dem starken Wellengang und den peitschenden Böen in Panik. Klaus versucht verzweifelt, die schlagenden Segel einzuholen und das Boot in Richtung Ufer zu steuern, ist aber ohne Hilfe völlig überfordert. Nach einem gefährlichen Manöver geht Klaus über Bord – und Helmut schaut dem panisch um sein Leben kämpfenden nur wie versteinert zu. Klaus versinkt im Wasser - und Helmut tut nichts. Erst als er von einem Boot der Wasserpolizei entdeckt wird, fängt er an, sich hektisch an der Suchaktion zu beteiligen. Aber es hilft nichts, Klaus bleibt verschwunden. Wieder in seinem Ferienhaus ist Helmut über den Vorfall total geschockt. Wie hatte es dazu kommen können? Auch die beiden Frauen, die inzwischen zurückgekehrt sind, verstehen das nicht. Helene ist sogar sehr misstrauisch. Stimmt das wirklich, was Helmut erzählt? Oder war alles vielleicht ganz anders? Schließlich hat Helmut Klaus ja ganz offensichtlich nicht leiden können.

Kritik

Komödie, Thriller, psychologisches Drama, Gesellschaftskritik – das alles erwartet Sie in dem Film "Ein fliehendes Pferd". Wobei der Nachdruck allerdings auf "Komödie" liegt. Es gibt sehr viel zu Lachen in diesem Film, und die vier Darsteller erweisen sich allesamt als geniale Komödianten. Von Katja Riemann und Ulrich Tukur weiß man das ja schon, aber auch Ulrich Noethen und Petra Schmidt-Schaller ziehen alle Register und sind einfach umwerfend. "Ein fliehendes Pferd" ist aber auch ein sehr spannender Film, denn trotz aller treffenden verbalen Gags und witzigen Dialoge baut sich unterschwellig ein Drama auf. Wie lange erträgt Helmut noch diesen Klaus? Wie lange kann Sabine diesem Klaus noch widerstehen? Was will eigentlich Helene? Und überhaupt - warum macht Klaus das alles, wo er doch merkt, dass Helmut ihn nicht ausstehen kann? Und dann kommt die psychologische Dramatik ins Spiel: Langsam aber unerbittlich verändern sich die Protagonisten. Klaus ist der große Puppenspieler, der alle Fäden in der Hand hält und Dinge aus den Beteiligten – vor allem natürlich Helmut und Sabine – herauslockt, die besser ungesagt geblieben wären. Und dann der gesellschaftliche Hintergrund der Vier: Helmut, der introvertierte Lehrer, der sozusagen alle Hoffnungen, die er als Jugendlicher jemals hatte, fahren lassen musste. Sabine, die lebens- und liebeslustige Frau in den besten Jahren, die von ihrem mürrischen Ehemann an der mehr als nur kurzen Leine gehalten wird, und die ihr Leben unwiderruflich in Langeweile versinken sieht. Ein typisches Paar nach 20 Jahren Ehe: auseinandergelebt, leer, einsam, aber die Fassade wird um jeden Preis aufrechterhalten. Und dann kommt dieser vor Leben nur so strotzende Kerl namens Klaus, der alles verkörpert, was dem Ehepaar Halm schon vor langer Zeit abhandengekommen ist. Und das wird Helmut und Sabine in Klaus’ Gegenwart nur allzu schmerzlich bewusst. Es ist spannend zu sehen, wie jeder der beiden mit dieser Wahrheit anders umgeht: Sabine macht sie stärker, Helmut lässt sie in Selbstmitleid versinken.

Fazit
Der Film "Ein fliehendes Pferd" ist ein erstaunlicher und absolut sehenswerter und unterhaltsamer Film. Martin Walser antwortete auf die Frage, worauf sich der Zuschauer beim Kinobesuch besonders freuen kann: "Dass er seine Privattragödien einmal als laute Komödie dargestellt sieht."
Filmkritik: Julia Edenhofer
Wertung: 60 %


Alternativtitel: Runaway Horse
Land: Deutschland
Jahr: 2007
Laufzeit ca.: 96
Genre: DramaKomödie
Verleih: Concorde Filmverleih
FSK-Freigabe ab: 12 Jahren

Kinostart: 20.09.2007
Heimkino: 23.04.2008

Regie: Rainer Kaufmann
Drehbuch: Kathrin Richter • Ralf Hertwig
Literaturvorlage: Martin Walser

Schauspieler: Ulrich Noethen (Helmut Halm) • Ulrich Tukur (Klaus Buch) • Katja Riemann (Sabine Halm) • Petra Schmidt-Schaller (Helene) • Therese Hämer (Irene Zürn) • Günter Brombacher (Mayrhofer) • Vilmar Bieri (Reinhold) • Lisa Friederich (Freakiges Mädchen) • Jan Messutat (Mann der Wasserwacht) • Julian Greis (Mann der Wasserwacht)

Produktion: Rikolt von Gagern
Szenenbild: Renate Schmaderer
Kostümbild: Lucie Bates
Maskenbild: Gregor Eckstein • Sabine Hehnen-Wild
Kamera: Klaus Eichhammer
Musik: Annette Focks
Schnitt: Christel Suckow

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Bild: Concorde Filmverleih

1 customer review

befriedigend
20.09.07
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