Wenn zwei Teenager planen, ihr Land zu verlassen und in einer Ferne, die sie nur aus Internetvideos kennen, Karriere zu machen, dann braucht es einen triftigen Grund. Für die Cousins Seydou und Moussa besteht er in der Hoffnung auf eine Karriere als Sänger in Europa. Was wie Tagträume klingt, ist für die Jungen verlockend genug, eines Tages die sichere Heimat zu verlassen.
Die Ausgangslage empfindet der Kritiker als fraglich. Moussas Lebensumstände werden nicht angeführt; Seydou lebt in einer von der Mutter geführten Großfamilie in sicheren Verhältnissen. Es ist also nicht das Leben im Elend, was Seydou antreibt. Vielleicht wollten die Filmemacher den Senegal auch nicht als nicht lebenswert darstellen. In der Umsetzung fehlt es dem Schicksal an Fallhöhe, denn eine Karriere als Sänger wäre auch in Afrika denkbar. Die ersten von vielen eigenartigen Aspekten im Film.
Als nächster verwundert der Umstand, dass die Cousins nur wenig länger als sechs Monate an Zeit benötigen, um mindestens tausend Dollar zu verdienen. Wenn der Kritiker sich nicht täuscht, zahlen sie je vierhundert für einen Schleuser und einhundert für einen Pass. Laut der Handlung gehen sie nur Nebenjobs nach der Schule nach.
Die genannten Punkte wären zu vernachlässigen, wäre das Drehbuch nicht insgesamt mit zu viel gutem Willen entstanden. So berücksichtigt es möglichst viele Klischees, die nach Ansicht der Drehbuchautoren in einem afrikanischen Film abgehandelt werden müssen. Zum Beispiel: Aberglaube, afrikanischer Tanz, Großfamilien, Lebensfreude, Matriarchat, Rebellen, Schleuser. Auf der Wanderung erleben die jungen Männer dann fast alles, was Menschen auf der Flucht widerfahren kann von Freundschaft bis Folter. Wobei die Bösen in der Regel unattraktiv sind und ständig "Jalla!" (schneller) sagen.
Umgesetzt ist die Handlung in einer Art Märchen mit (albernen) Traumsequenzen und realistischem Einschlag und Happy End. Selbst aus ausweglosen Situationen führen hilfreiche Wendungen. Dabei steht Seydou klar im Mittelpunkt, während sein Cousin Moussa mitläuft im direkten und übertragenen Sinne. Ein persönliches Drama ist der Film trotzdem nicht, denn wenngleich zwei Figuren im Vordergrund stehen, erzählt es von der Sache und nicht von der Veränderung der Charaktere. Auch das Schicksal der Mutter (und Zurückgebliebenen im Senegal) findet keine Beachtung. Schade, denn innerhalb von 124 Minuten Lauflänge wäre dafür Raum gewesen. Stattdessen strapaziert die Dramaturgie mit Wiederholungen. Das Gespräch zwischen Mutter und Sohn etwa spult den Inhalt leicht variiert zweimal nacheinander ab. Gerne verharrt die Kamera übermäßig lange auf den Gesichtern. Das Stilmittel soll wohl eindringlich wirken. Gespielt ist das Ganze von den zwei Jungschauspielern gut.
Fazit
"Ich Capitano" ist unbequeme Unterhaltung für ein geneigtes Publikum.
Filmkritik: Thomas Maiwald
Wertung: 50 %
Land: Belgien • Italien
Jahr: 2023
Laufzeit ca.: 124
Genre: Abenteuer • Drama
Verleih: X Verleih
FSK-Freigabe ab: 12 Jahren
Kinostart: 04.04.2024
Regie: Matteo Garrone
Drehbuch: Matteo Garrone • Massimo Gaudioso • Massimo Ceccherini • Andrea Tagliaferri
Schauspieler: Seydou Sarr (Seydou) • Moustapha Fall (Moussa) • Issaka Sawadogo (Martin) • Hichem Yacoubi (Ahmed) • Doodou Sagna (Charlatan) • Ndeye Khady Sy (Madre di Seydou) • Venus Gueye (Sorellina di Seydou) • Oumar Diaw (Sisko) • Joe Lassana (Fälscher) • Mamadou Sani (Polizist) • Bamar Kane (Bouba) • Beatrice Gnonko (Frau)
Produktion: Paolo Del Brocco • Matteo Garrone
Kostümbild: Stefano Ciammitti
Maskenbild: Dalia Colli • Dimitri Capuani
Kamera: Paolo Carnera
Ton: Maricetta Lombardo
Musik: Andrea Farri
Schnitt: Marco Spoletini
Anzeige
Bild: X Verleih